Subtil in Elfenbein lackiert und dazu als weitere Sonderausstattung cremefarbenes Vinyl, rotes Schottenkaro, ein leistungsstarker Reihensechszylinder vom Werk und eine leichte Aluminiumkarosserie. Dieser preisgekrönte Mercedes-Benz 300SL ist nicht einfach nur rar – er ist ein Unikat.
„Ich will immer das neueste, beste und schnellste Auto“, soll Charles Robin A. Grant einmal behauptet haben. Der wohlhabende britische Industrielle war der ursprüngliche Besitzer dieses spektakulären Mercedes-Benz 300SL mit Chassis Nummer 6500015. Wie man sich nach seiner Ansage gut vorstellen kann, schwelgte dieser Mann mit den entsprechenden Mitteln in der Fülle der Sonderausstattungen, als er seinen höchstpersönlichen „Flügeltürer“ bestellte.
Während sich sage und schreibe 39 Prozent der 300SL-Besitzer für die serienmäßige Außenfarbe Silbermetallic entschieden, fiel die Wahl des mutigen Mr. Grant auf den Ton Elfenbein. Passend zu dieser eleganten, ungewöhnlichen Farbe wurde das Interieur in cremefarbenem Vinyl und einem roten Schottenkarowollstoff für die Sitze ausgekleidet. Unter der flach geführten und anmutigen Motorhaube agierte der optimierte „NSL“-Hochleistungsmotor, der als begehrenswerte Option tatsächlich nur bei vier Prozent aller gebauten „Flügeltürer“ eingebaut worden war.
Aber das wohl wichtigste Häkchen in der Wunschliste wurde für eine Karosserie aus einer Aluminiumlegierung gesetzt. Um nicht unwesentliche 80 Kilo erleichtert, entstand dieser Leichtgewichtkörper in der Motorsportabteilung von Mercedes-Benz in Untertürkheim in Manufaktur – eine Welt entfernt von Sindelfingen, wo die Stahlkarossen vom Band liefen. Erstaunlicherweise baute man nur 29 leichte 300SL mit den legendären Flügeltüren. Ironie der Geschichte: Diese Option, die den Wert künftig ins Unermessliche steigern würde, kostete seinerzeit vergleichsweise wenig.
Grants einmaliger „Flügeltürer“ wurde im Januar 1956 über Mercedes-Benz Ltd. in London ausgeliefert. Er genoss die Freuden dieses Mercedes fast zehn Jahre lang bis er gemäß seinem Motto, nur das nächste beste Auto zu besitzen, den allerersten Lamborghini 350GT ins Auge fasste. Der 300SL verbrachte die folgenden sechs Jahre im Besitz eines Geschäftsführers einer Engineering-Firma in Yorkshire, ehe es an David Piper, den legendären britischen Rennfahrer in einem Privatteam verkauft wurde. Er war in den sechziger Jahren sehr erfolgreich, allerdings mehrheitlich mit Ferrari.
Leider behinderte Pipers Beinprothese, die Folge eines furchtbaren Unfalls am Set von Steve McQueens Film „Le Mans“, den an sich schon umständlichen Einstieg in den Fahrgastraum und er sah sich gezwungen, das Auto schon 1972 – ein Jahr später – zu verkaufen. Der nächste Eigner des Unikats war ein Arzt mit Namen Michael Barrett. Etwas unglücklich sorgte Barretts Bruder Tim ausgerechnet am Tag der Übergabe für einen leichten Schaden am rechten Frontscheinwerfer. Der „Flügeltürer“ wurde in einer Scheune gelagert, denn Barrett plante, das Auto irgendwann zu restaurieren.
Hier schlägt die Geschichte dieses 300SL einen abrupten Haken. In 1982, als Barrett nicht mit seinem Mercedes-Projekt nicht weiter vorankam, ließ er dieses Auto zusammen mit einem 300SL Roadster von 1958 nach Neuseeland schicken, wo es allem Anschein nach restauriert werden sollte. Aber erst im neuen Jahrtausend, als sich der Vizepräsident des Mercedes-Benz Club Auckland, Garry Boyce, einschaltete, nahm die Saga wieder Fahrt auf. Man hatte Boyce auf die seltenen Sternschönheiten aufmerksam gemacht, die in der Gegend von Waikato vor sich hindämmerten.
Obwohl man heftig insistiert hatte, dass die beiden 300SL nicht zum Verkauf stünden, überredete Boyce den Verwalter, ihm einen Blick zu erlauben. Nachdem er den Roadster, eine außerordentlich originales Exemplar, inspiziert hatte, besuchte er die Ruhestätte des „Flügeltürers“ – ein alter Schiffscontainer. Wie Howard Carter und sein Ausgrabungsteam, als sie das Grab von Tutankhamun entdeckten, bekam Boyce beim Anblick dieses sonderangefertigten Leichtbau-Mercedes eine Gänsehaut. Leider befand sich diese einmalige Erscheinung auch in einem Zustand, den man nur noch als worst case beschreiben konnte.
Jahrelang bemühte sich Boyce, dieses Auto zu kaufen. Jeder neuerliche Versuch wurde mit einem lauten und deutlich „No!“ quittiert. Zugleich musste er auch diverse europäische und amerikanische Markenenthusiasten abwimmeln, die den Gerüchten bis ans andere Ende der Welt nach Neuseeland gefolgt waren. Schließlich signalisierte Barrett, dass er die Autos an Boyce verkaufen würde.
Authentische Patina, die sich über Jahrzehnte des geliebten Umgangs mit einem Klassiker entwickelt hat, ist ein betörender Anblick. Erzählt er doch von Tausenden unterschiedlicher Biographien und entführt auf eine imaginäre Reise entlang der Zeitachse. Aber eine tiefgreifende, umfassende Restaurierung, fern aller Kostenerwägungen, ist womöglich noch fesselnder, denn sie versetzt einen zurück zu dem aufgeregten, kindgleichen Augenblick des Staunens, in dem der hoffnungsvolle Verwahrer dieses Juwel ausgehändigt bekommt.
Dieser 300SL erfuhr genau diese Art der liebevollen Instandsetzung in den Händen des Spezialisten Lloyd Marx in Hamilton, Neuseeland. Nichts blieb in diesem gründlichen vierjährigen Prozess verborgen – die Sorgfalt galt vor allem der kostbaren Leichtbaukarosserie, an der mit größter Vorsicht gehämmert und gefeilt wurde, bis ihre Oberfläche seidig wie Lack schimmerte. „Wir hätten das Auto in Deutschland nicht besser restaurieren können“ steht im „Expertise-Band von Mercedes-Benz Classic“ bezüglich der Authentizität dieses weitgereisten 300SL – von Motor, Getriebe über Spaceframe-Chassis mit ihren Matching Numbers bis hin zum Leichtbaukörper.
Abschluss der Arbeiten wurde der in neuem Glanz erstrahlende „Flügeltürer“ 2015 für Neuseelands Ellerslie Intermarque Concours d’Elegance angemeldet, wo er nicht nur die angesehene Masters Class gewann, sondern die dritthöchste Punktzahl in der 42-jährigen Geschichte des Wettbewerbs erhielt. Ehe das Jahr sich seinem Ende zuneigte, kehrte Chassis Nummer 6500015 nach London zurück. Der neue Besitzer war sich durchaus der Signifikanz des Autos als eines von nur 29 Leichtbau-300SL bewusst, und gab den „Flügeltürer“-Gurus bei HK Engineering den Auftrag, den Zustand des Autos noch weiter zu optimieren.
Weitere 1.000 Arbeitsstunden wurden investiert, um kleinere Mängel zu beheben und alles in die absolut korrekte Originalspezifikation zurückzuversetzen – das Nappaleder, das in Neuseeland zur Auskleidung der Kabine eingearbeitet worden war, wich dem zeitgeschichtlich richtigen Vinyl und der Außenspiegel auf der Fahrerseite wurde entfernt. Rechtzeitig um an dem wohl berühmtesten Schönheitswettbewerb überhaupt teilzunehmen – dem Pebble Beach Concours d´Elegance in Kalifornien -, war das Projekt fertiggestellt. In der heiß umkämpften Klasse der Nachkriegs-Tourer sicherte sich der 300SL den zweiten Platz.
Der 300SL ist nicht unbedingt ein außerordentlich seltenes klassisches Fahrzeug – Mercedes hat 1.400 Stück dieser beflügelten Schönheiten verkauft -, aber ähnlich den Exemplaren, die wir gerade aufgezählt haben, gibt es fraglos „Flügeltürer“, die wahre Himmelstürmer darstellen. Und gerade diese Art interessiert die heute zunehmend anspruchsvollen Sammler.